Vier kleine Gläser Konfitüren

Das «sicher» im Titel hat eine doppelte Bedeutung: «Sicher» darf Süsses vorkommen in unserem Essen. Der Umgang mit Süssem sollte gesundheitlich aber «sicher» sein.

Was ist es denn eigentlich, was den Zucker so einzigartig macht? Natürlich die Süsskraft. Er ist ein kohlenhydrathaltiges Süssungsmittel. Dann seine Eigenschaften als Backzutat, nicht zuletzt ist er wichtig (und günstig) für das Volumen in Backwaren. Aber auch die Eigenschaft als Würzmittel. So rundet Zucker den Geschmack von süssen und sauren Speisen ab und gibt ein wohliges Mundgefühl. Dann ist Zucker ein Konservierungsmittel und hemmt in hoher Konzentration das Wachstum von Bakterien und Pilzen. Dies machen wir uns beispielsweise in der Herstellung von Konfitüre zu Nutzen. Und Zucker ist ein natürlicher Aroma- und Farbstoff und wird in der Zutatenliste auch als E150 (Zuckerkulör) aufgeführt.
Und dann ist Zucker natürlich Energielieferant. 100 g Zucker liefern 400 kcal. Gerechnet wird also wie bei allen Kohlenhydraten mit 4 kcal pro Gramm. Der Mensch hat wohl eine angeborene Vorliebe für Süsses. Zudem können Süssspeisen – wissenschaftlich nachweisbar – neurologische Vorgänge beeinflussen. Die Gefahr ist deshalb gross, durch die Gabe von Süssigkeiten als Belohnung oder als Trostspender bereits im Kindesalter eine Konditio­nierung auszulösen. Dies kann das Verhalten für den Rest des Lebens ungünstig prägen: «Wenn ich Belohnung oder Trost brauche, greife ich zu Süssem.»

Wieviel Süsses isst die Schweizer-Bevölkerung?
Tabelle: Konsum von Süssem und Salzigem in der SchweizIn der nationalen Ernährungserhebung «menuCH», welche im letzten Jahr veröffentlicht wurde, sind folgende Fakten ersichtlich (Grafik 1).
Aus der Grafik geht hervor, dass die 18- bis 75-jährigen täglich 83 g Süsses in Form von Desserts, Schokolade sowie Zucker/zuckerhaltigen Aufstrichen konsumieren. Je nach Alterskategorie gibt es davon geringfügige Abweichungen. Unterschiede zeigen sich auch in Geschlecht, Sprachregion und Alter. Hätten Sie gedacht, dass Männer mehr Süsses geniessen als Frauen?

Und wie sieht es mit dem Konsum von Süssgetränken aus?
Wenn Frucht- und Gemüsesäfte zu den Süssgetränken gezählt werden, was bezüglich des Zuckergehalts in den Fruchtsäften auch angemessen ist, beträgt der durchschnittliche Konsum 3 dl pro Tag. Hier nehmen Männer in jedem Lebensalter mehr zu sich als Frauen. Am höchsten ist der Konsum bei den 18- bis 34-jährigen. Diese 3 dl Süssgetränke und Fruchtsäfte bedeuten für die Zuckerzufuhr ein Mehr von 30 g Zucker, oder in einer visuellen Zucker-Währung: 7½ Würfelzucker. Für all meine nachfolgenden Beispiele rechne ich für einen Würfelzucker 4 g Zucker.

Wo steht die Schweiz im Vergleich mit anderen Ländern?
Die Schweiz steht im Vergleich zur EU mit dem Zuckerkonsum an der Spitze. Einen noch höheren Konsum weisen vor allem Länder aus Südamerika auf. An der Spitze steht Kuba (Grafik 2). Der Zuckerkonsum in den USA betrug 2016/2017 33,8 kg.
Tabelle: pro Kopf Konsum von Zucker 2016Für den Einzelnen bedeutet dies einen Zuckerkonsum von 110 g pro Person und Tag in der Schweiz. Der Konsum an Zucker hat in den letzten 10 Jahren geschwankt, jetzt ist er wieder gesunken (ca. 37 kg/Jahr).
Je süsser, desto besser scheint immer noch bei vielen Schweizern das Motto zu sein. Laut dem Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen BLV hat sich Fettleibigkeit in der Schweiz zu einer Volkskrankheit entwickelt. Die zunehmende Verbreitung belastet das Gesundheitssystem. 43 % der erwachsenen Bevölkerung sind übergewichtig. Ebenfalls im Vormarsch ist die Häufigkeit des Diabetes. Dies vor allem in der männlichen Bevölkerung und vor allem ab dem 55. Lebensjahr. Dem Zucker allein kann aber diese Entwicklung nicht zugeschrieben werden (Grafik 3).


Tabelle: Entwicklung Diabetes (mehrheitlich Typ-2-Diabetes

www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/48681.pdfWie lautet die Empfehlung für den Konsum von Zucker?
Im Kontrast zum Verbrauch steht die Empfehlung. Die weltweit und auch in der Schweiz gültigen Empfehlungen der WHO lauteten bisher, dass der Zuckerkonsum nicht mehr als 10 % der Gesamt­energiezufuhr ausmachen soll. Wenn wir von einem Energiebedarf von durchschnittlichen 2000 kcal ausgehen, bedeutet dies 50 g Zucker, oder in unserer Zucker-Währung: 12 ½ Würfelzucker pro Tag.
2014 verschärfte die WHO ihre Strategie und formulierte neben einer realistischen Empfehlung ein Idealziel, welches noch die Hälfte der bisherigen Empfehlung ausmacht, also noch 5 % der Gesamtenergiezufuhr. Umgerechnet bedeutet dies noch 25 g Zucker, also 6 Würfelzucker pro Tag.
Dies veranlasste auch den Bund, eine Schweizer Ernährungsstrategie (siehe Broschüre) zu verfassen, welche bis 2024 Gültigkeit haben soll. Die Erhebung der aktuellen Zahlen zeigt einen Verzehr von vier Portionen anstatt einer Portion auf, wir sind also aufgefordert diesen um rund 75 % zu senken.

Süsses, salziges, Alkohol: Wir verzehren täglich 4 Portionen statt 1 Portion

Tatsächlicher Konsum: Die Menschen in der Schweiz essen zu viel Süsses und Salziges, nämlich durchschnittlich pro Tag 1,6 Portionen. Zudem trinken sie pro Tag 2,4 gesüsste oder alkoholische Getränke.
Empfohlener Konsum: Süsses, Salziges und Alkohol nur in kleinen Mengen geniessen, entweder 1 Portion Süsses oder 1 Portion Salziges oder 1 alkoholisches Getränk pro Tag.

Welchen Beitrag leistet die Lebensmittelindustrie zur Umsetzung der Empfehlungen?
Der Bundesrat bleibt zu diesem Thema nicht untätig, will aber eine Zuckersteuer, wie sie in Frank­reich, Spanien und Portugal existiert, nicht einführen. Die Schweiz setzt auf Freiwilligkeit und verfasste 2015 anlässlich der EXPO 2015 in Italien die Erklärung von Mailand. Namhafte Lebensmittelfirmen haben die Erklärung unterzeichnet und sich somit verpflichtet, den Zuckergehalt in ihren Produkten bis Ende 2018 zu reduzieren.
Die Erklärung von Mailand soll eine Zuckerreduktion erreichen, dies namentlich in Produkten, denen «eigentlich» anhaftet, besonders gesund zu sein. Bei den Fruchtjoghurts soll der zugefügte Zucker um 5 % gesenkt werden, bei den Müesli um durchschnittlich 10 %. Die Daten zum Zuckergehalt werden jährlich erhoben, um die versprochene Reduktion des Zuckers und damit die Wirkung der Erklärung von Mailand zu überprüfen. Die Erhebung im Jahr 2017 ergab im Durchschnitt eine Zuckerreduktion von ca. 8 % (Frühstückcerealien) bzw. ca. 4,5 % (Joghurts).

Zugefügter Zucker

Zugefügter Zucker im Joghurt (2017)
9,1 g / 100 g (2016: 9,5 g / 100 g)

zugefügter Zucker in Frühstückscerealien (2017)
ca. 16,3 g / 100 g (2016: 17,6 g / 100 g)

Im Gesamtverbrauch mögen dies beeindruckende Zahlen sein. Aber für den Einzelnen ist es doch eher eine geringe Reduktion, wenn IST und SOLL verglichen werden. Doch jede Reduktion ist ein Schritt in die gewünschte Richtung. Der weitere Erfolg hängt auch davon ab, ob die weniger stark gezuckerten Produkte langfristig in den Regalen zu finden sind und ob sie in ausreichender Anzahl gekauft werden. Wir Konsumenten sind somit auch gefordert. Möchten Sie Joghurt mit einem geringeren Zuckergehalt kaufen, dann lohnt es sich, die Zutatenliste zu studieren, ob der Zuckergehalt in % aufgeführt ist. Dies ist jedoch eine freiwillige Angabe des Produzenten.

Wo liegt die Verantwortung für ein zuckerbewusstes Leben?
Bei der Industrie? Beim Bund? Und wie mündig und eigenverantwortlich ist jeder und jede für sich? Na klar, wir entscheiden was in unseren Einkaufswagen kommt.
Zurück zum Müesli und einem Vorschlag zur Zuckerreduktion, welcher denjenigen des Bundesrates um ein hohes Mass übertrifft:
Eine Portion Flocken zum Frühstück rechnen wir mit rund 50 g. Dies sind ca. 4 – 5 EL. Wenn ich das Knuspermüseli (18 g Zucker / 100g) halbiere und die andere Hälfte mit Haferflocken ergänze, reduziere ich den Zuckergehalt auf 4 – 5 g Zucker oder ungefähr 1 Würfelzucker.
Und beim Joghurt? Ausgehend von einem Fruchtjoghurt mit 16 g Zucker pro Becher (180 g) oder 4 Würfelzucker. Wenn ich auch dort die Hälfte des Fruchtjoghurts durch einen halben Becher Naturjoghurt ersetze, habe ich noch 8 g zugefügten Zucker pro Becher oder 2 Würfelzucker.
Grafik 4: Praktische EmpfehlungenEine weitere Reduktion wäre dann noch, das Fruchtjoghurt nicht mit dem Knuspermüesli zu kombinieren.
Mit dieser Umsetzung und dem Weglassen der Süssgetränke resp. Fruchtsäfte könnte eine Rechnung aus der Praxis so aussehen, also – nebst den bundesrätlichen Bemühungen – eine Zuckerreduktion um rund 44 g (Grafik 4).
Doch neben diesen Lebensmitteln mit hohem Zuckergehalt steht ja noch der Fakt im Raum, dass fast überall Zucker zugesetzt ist. Dies ist lebensmitteltechnologisch mit den erwähnten Eigenschaften von Zucker auch zu verstehen. So hat auch der Aceto Balsamico einen Zuckergehalt von rund 15 g pro dl. Umgerechnet in eine normale Verzehrmenge enthält 1 EL pro Portion Salat 1,5 g Zucker. Und eine Flasche Ketchup enthält rund 93g Zucker, also 23 Würfelzucker. Umgerechnet auf eine Portion à 20 g Ketchup ist dies dann noch 1 Würfelzucker, also rund 4 g.
Es bleibt also in unserer Verantwortung, wie viel wir von diesem «überall Zucker» auch tatsächlich zu uns nehmen.

Was bedeutet denn nun diese Zuckerempfehlung bei Diabetes? Dürfen Menschen mit Diabetes Zucker essen?
JA. Die Empfehlungen zur Zuckerzufuhr sind gleich wie bei Gesunden und entsprechen den Empfehlungen der WHO. Dies ist eine echte Herausforderung. Natürlich haben Zusammensetzung und Kombination der Lebensmittel einen Einfluss auf den Blutzuckeranstieg. Ein positives Beispiel: Das Dessert im Anschluss an eine ausgewogene Mahlzeit hat einen langsameren BZ-Anstieg zur Folge. Zudem ist es in diesem Moment ausschliesslich für den Genuss da. Der Hunger ist bereits gestillt, und deshalb soll auch die Menge kleiner ausfallen, als wenn Süsses zwischen den Mahlzeiten konsumiert wird. Süssgetränke sind weniger geeignet. Dies weil sie einerseits viel Zucker liefern, andererseits den Blutzucker schnell ansteigen lassen. Und Süssstoffe sind nicht grundsätzlich zu bevorzugen, sind aber eine gute Ersatzmöglichkeit in Süssgetränken. Dennoch soll die Menge auf max. ½ Liter pro Tag beschränkt sein. Dies wegen der möglichen Gewöhnung an eine hohe Süsskraft und wegen der zahnschädigenden Säuren.
Keine gute Ersatzmöglichkeit sind Süssstoffe in Schokolade und Gebäck. Durch das fehlende Zuckervolumen ist meist der Fettgehalt erhöht. Der Energiegehalt ist gleich – oder sogar höher als das «Normalprodukt». Als Faustregel gilt: 10 g Zucker erhöhen den Blutzucker um ca. 1 – 2 mmol/l. Abhängig ist dies von der körperlichen Aktivität, den übrigen Nährstoffen wie Fett und Eiweiss und der medikamentösen Therapie. Enthalten sind diese 10 g Kohlenhydrate in Süssigkeitenportionen wie z. B. 1 «Reiheli Schoggi», 2 – 3 «Guetzli» oder einem halben Stück Kuchen.

Somit zurück zur Eingangsbehauptung «Süss aber sicher!» und deren Erläuterung in Kurzfassung:

  • Sicher – darf Süsses vorkommen in unserem Ess-Alltag (muss aber nicht)
  • Sicher – soll Süsses einen besonderen Stellenwert erhalten
  • Sicher – muss der Umgang damit sein und entsprechend vermittelt werden
  • Sei es mit oder ohne Diabetes

Vortrag am Deutschschweizer Diabetestag, 2017

AutorIn: Manuela Deiss, BSc, Ernährungsberaterin SVDE, Leitung Ernährungsberatung Kantonsspital Aarau AG