Kaffeemaschine

Die Älteren unter Ihnen, liebe Leserinnen und Leser des «d-journals», mögen sich wohl noch an den Kanon über den Kaffee erinnern, den wir in der Schule gelernt und immer wieder einmal gesungen haben. «Trink nicht so viel Kaffee», war eine der Botschaften, «schwächt die Nerven. Macht Dich blass und krank», eine weitere. Komponiert wurde dieser Kanon übrigens schon vor über 200 Jahren von Carl Gottlieb Hering.

Dass Kaffee nichts Gesundes sein soll, war auch nicht weiter erstaunlich. Sein wichtigster Inhaltsstoff, das Koffein, ist ein bekanntes Gift, das zum Schutze der Pflanzen Insekten betäuben und töten kann. Kaffeesatz wird als Schneckengift eingesetzt. Gesunde erwachsene Menschen sind allerdings deutlich weniger empfindlich. Eine tödliche Koffeindosis – ca. 10 Gramm – würde weit mehr als 300 Tassen Espresso entsprechen. Weitere, heute als Vorurteile entlarvte Aussagen haben dazu beigetragen, dass der Kaffee, obwohl er abgesehen vom Wasser das weltweit am häufigsten konsumierte Getränk ist, seinen schlechten Ruf lange nicht ablegen konnte: Er erhöht den Blutdruck und den Puls. Er führt zu Herzrasen und Herzstolpern. Er reizt den Magen und macht Sodbrennen. Er ist ein Schlafräuber. Er trocknet den Körper aus. Und schliesslich: Er macht süchtig.
Vor dem Kaffeetrinken wurde zwar nie ausdrücklich gewarnt wie vor Alkohol oder Nikotin. Positive Empfehlungen sucht man in der älteren Literatur aber vergebens. Kaffee-«Genuss» war eben doch etwas leicht Anrüchiges.

Kaffee gegen Diabetes
Über einen allfälligen Zusammenhang zwischen regelmässigem Kaffeekonsum und Diabetes war lange nichts bekannt. Vor rund 20 Jahren schien eine Studie – nicht ganz unerwartet – zu bestätigen, dass der Kaffee den Diabetes ungünstig zu beeinflussen vermag. Bei gesunden Versuchspersonen wurde eine Zunahme der Insulinresistenz beobachtet. Allerdings fand dieser Test keineswegs unter Alltagsbedingungen statt. Die Probanden mussten vorab während einiger Tage auf das Trinken von Kaffee verzichten. Und das Koffein wurde dann nicht in Form eines fein duftenden Tässchens Kaffee zugeführt sondern in eine Vene gespritzt. Es wurde also gar nicht die Wirkung des Kaffees geprüft, der noch zahlreiche weitere Inhaltsstoffe hat, sondern lediglich diejenige von Koffein, verabreicht auf einem gänzlich unnatürlichen Weg.
2002 berichtete dann eine holländische Forschergruppe aus dem Alltag. Sie beobachteten mehr als 17 000 Landsleute während mehrerer Jahre. Dabei konnten sie feststellen, dass sich bei denen, die täglich mehrere Tassen Kaffee tranken, das Risiko, an einem Diabetes zu erkranken, etwa halbierte. Diese eindrücklichen Resultate wurden in den folgenden Jahren durch weitere, teils sehr grosse Studien, z. B. in den USA und Schweden, bestätigt.

Tabelle Durchschnitt KoffeingehaltAuch der Leber geht es besser
Bekanntlich besteht ein enger Zusammenhang zwischen Übergewicht, Typ-2-Diabetes, Insulinresistenz und dem Auftreten einer Leberverfettung. Wir haben über die sogenannte «nicht-alkoholische Fettleber» auch im «d-journal» schon mehrfach berichtet. Da sich regelmässiger Kaffeekonsum auch auf andere Leberkrankheiten eher günstig auswirkt, erstaunte es letztlich nicht, dass bei regelmässigen Kaffeetrinkern ein leichter Rückgang der Leberverfettung und eine Verbesserung der so genannten «Leberwerte» im Blut gemessen werden konnte.

Weniger Kalk in den Blutgefässen
Die Atherosklerose (Arterienverkalkung) mit ihren Folgeschäden wie Herzinfarkt, Hirnschlag oder periphere arterielle Verschlusskrankheit ist nach wie vor weit verbreitet. Sie ist bei Diabetesbetroffenen noch um ein Mehrfaches häufiger. Da war es in der Tat eine frohe Kunde, dass in den letzten Jahren mehrere Untersuchungen an vielen Tausenden von Probanden bei den mässigen Kaffeetrinkern – drei bis fünf Tassen pro Tag – eine leicht geringere Sterblichkeit an Herz-Kreislaufleiden feststellen konnten als bei Kaffeeabstinenten. In sehr aufwändigen Studien in Südkorea und Brasilien – alle Teilnehmer hatten eine CT-Untersuchung der Herzkranzgefässe! – konnte entsprechend eine inverse Korrelation zwischen dem Kaffeekonsum und dem Kalkgehalt der Koronararterien gefunden werden: mehr Kaffee – weniger Kalk.

… und ausserdem
• In der berühmten «Nurses’Health Study» in den USA wurde eine Reduktion der Schlaganfallhäufigkeit um 20 % bei den Krankenschwestern festgestellt, die vier oder mehr Tassen Kaffee pro Tag tranken.
• Bei Kaffeetrinkern kann das Auftreten von Leber-, Nieren- und Dickdarm-Krebs leicht reduziert werden. Bei bereits Erkrankten schreitet der Dickdarm-Krebs etwas weniger schnell voran.
• Die chronische Entzündung, die Insulinresistenz und Typ-2-Diabetes begleitet, schwächt sich durch regelmässigen Kaffeekonsum leicht ab.
• Kaffeetrinker erkranken seltener an einer ­Demenz.
• Das Depressionsrisiko ist bei regelmässigem Kaffeekonsum etwas geringer.

Kaffee ist sehr viel mehr als nur Koffein
Koffein ist zweifellos der bekannteste und ein wichtiger Inhaltsstoff des Kaffees. Er enthält aber Hunderte von weiteren Substanzen.
• Kohlenhydrate, Fette, Eiweiss: Sie sind vor allem Teil der Kaffeebohne. Nach dem Rösten ist ihr Anteil sehr gering.
• Wasser: nach dem Rösten < 5 %
• Mineralstoffe: Kaffee ist eine gute Quelle von Magnesium und Kalium.
• Aromastoffe: Hunderte von verschiedenen Stoffen. Sie entstehen zum Teil beim Rösten aus Verbindungen von Zucker und Eiweiss.
• Säuren: In der Kaffeebohne kommen mehr als 80 verschiedene Säuren vor. Die wichtigste ist wohl die Chlorogensäure (ein sekundärer Pflanzenstoff), die zu den lebenswichtigen Anti­oxidantien gehört, welche den Körper vor schädlichen Einflüssen schützen können.
• Koffein (und andere Alkaloide). Alkaloide sind hauptsächlich in Pflanzen vorkommende natürliche Stoffe, die typische Auswirkungen haben auf das zentrale Nervensystem. Viele sind giftig.

Koffein wird innert ca. 30 – 45 Minuten aus dem Magen-Darm-Trakt aufgenommen. Seine Wirkung auf das zentrale Nervensystem ist fast ausschliesslich stimulierend.
• Leichte Steigerung von Blutdruck und Puls; in der Regel kurzfristig und bedeutungslos
• Leichte Steigerung der Körpertemperatur
• Stimulierung der Muskeltätigkeit
• Erweiterung der Bronchien
• Anregen der Verdauung
• Anregen des Wasserlassens (Diurese). Da sich bei regelmässigem Trinken ein neues Gleichgewicht einstellt, ist die Bezeichnung Flüssigkeitsräuber für den Kaffee nicht korrekt.
• Stimulierung von Aufmerksamkeit und Konzentration

Und der koffeinfreie Kaffee?
Die zugrunde liegenden Mechanismen für die schützenden Effekte des Kaffeegenusses auf Typ-2-Diabetes, Herzerkrankungen und Schlaganfall sind noch weitgehend unklar. Können Menschen, die koffeinfreien Kaffee konsumieren, in gleichem Masse profitieren? Selbstverständlich hat man in all den erwähnten Studien versucht, diese Frage zu beantworten. Doch ist dies gar nicht so einfach. Einerseits wird in gewissen Ländern insgesamt nur wenig koffeinfreier Kaffee getrunken. Anderseits ist die Zahl der regelmässigen Kaffeetrinker, die nur in den Abendstunden eine koffeinfreie Variante wählen, recht gross. Aussagen können deshalb nur mit Vorbehalt gemacht werden.
Es wurde bereits erwähnt, dass gewisse sekundäre Pflanzenstoffe wie die Chlorogensäure bekannte Antioxidantien sind, deren günstige Wirkung auf zahlreiche Stoffwechselvorgänge gut bekannt ist. Man geht heute davon aus, dass zumindest ein Teil der schützenden Effekte des Kaffees, wie die Bremsung der chronischen Entzündung und die geringere Diabetes-Häufigkeit, hauptsächlich diesem Mechanismus geschuldet ist. Eine neue Studie aus Deutschland zeigt allerdings, dass Koffein die so genannten Mitochondrien beeinflussen kann. Diese «Mini-Kraftwerke» sind zum Beispiel mitbeteiligt an einer optimalen Funktion der Zellen, die unser Herz und unsere Blutgefässe auskleiden. Noch ist es wohl zu früh, gültige Empfehlungen zum Konsum von koffeinfreiem Kaffee abzugeben.

Kaffee als Medizin?
Die Aussage, dass Kaffee, wie im eingangs erwähnten Kanon besungen, die Nerven schwächt und uns blass und krank macht, darf zweifellos revidiert werden. Regelmässige Kaffeetrinker dürfen ihre wohlverdienten Kaffeepausen ganz ohne Anflug eines schlechten Gewissens geniessen, selbstverständlich ohne gleichzeitige Zigarette und ohne Zucker im Kaffee. Regelmässiger Kaffeekonsum ist durchaus vereinbar mit einer gesunden Ernährung. Es ist indes kaum gerechtfertigt, Kaffeeabstinente zu animieren, nun Kaffee zu trinken, es sei denn, der Kaffee wäre ein Ersatz für Süssgetränke. Und Koffein als Nahrungsergänzung zu propagieren, ist ebenso wenig angebracht. Kaffee ist keine Medizin, aber ein von vielen Menschen geschätztes Genussmittel, das keinen Schaden anrichtet.

AutorIn: Dr. med. K. Scheidegger