Rotschimmelreis

Die spannende Entstehungsgeschichte der Statine.
Rotschimmelreis (auch «Roter Reis», «rot fermentierter Reis» oder «Rote Reishefe» genannt) wird zurzeit vor allem übers Internet als cholesterinsenkendes Naturprodukt angepriesen. Die Wirkung soll mindestens gleich gut sein wie mit cholesterinsenkenden Medikamenten. Wie ist das möglich? Wie ist dies zu bewerten? Was hat der Rotschimmelreis mit den sehr häufig zur Cholesterinsenkung eingesetzten Medikamenten, den sogenannten Statinen, gemeinsam? Der folgende Artikel geht darauf ein.

Was ist Rotschimmelreis?
Rotschimmelreis ist ein Gärungsprodukt von gewöhnlichem Reis mit bestimmten Schimmelpilzen der Gattung Monascus (Monascus ruber, Monascus purpureus, Monascus pilosus und andere). Durch die Gärung (in der Fachsprache «Fermentation») entstehen neben roten Farbstoffen auch verschiedene andere Stoffe wie Monacoline, Monankarine, Ankalactone und Citrinin. In Ostasien wird Rotschimmelreis schon seit Jahrhunderten zum Färben von Lebensmitteln (Fleisch, Fisch und Sojaprodukten), zum Aromatisieren und Konservieren eingesetzt. Monacoline, insbesondere Monacolin K, haben auch eine cholesterinsenkende Wirkung. Rotschimmelreis wird deshalb sehr häufig mit dem Argument angepriesen, dass es sich um ein reines Naturprodukt zur Cholesterinsenkung handelt. Die Einnahme erfolgt als Pulver oder in Kapselform.
Um die cholesterinsenkende Wirkung von Rotschimmelreis zu verstehen und gegenüber den heutzutage oft eingesetzten cholesterinsenkenden Medikamenten, den sogenannten Statinen, abzugrenzen, ist es nötig, auf deren Entdeckung näher einzugehen.

Die Frühgeschichte: Die Entdeckung von Citrinin, Compactin/ML-236B
Nach mehreren wissenschaftlichen Aufenthalten an den Universitäten von Tokyo und New York und in der pharmazeutischen Industrie (Firma Sankyo) begann der japanische Biochemiker ­Akira Endo 1968 mit Untersuchungen, ob bisher eingesetzte Antibiotika wie Penicillin oder Streptomycin, die allesamt aus Pilzen gewonnen wurden, auch eine cholesterinsenkende Wirkung haben. So entdeckte er nach mehreren Jahren Forschung und über 6 000 Tests an über 3 800 Pilzarten zunächst unter anderem im Blauschimmelpilz Penicil­lium ­citrinum die cholesterinsenkende Substanz ­Citrinin. Es zeigte sich aber bald, dass diese Substanz nierenschädigend ist. Deshalb kam Citrinin als künftiges Medikament nicht in Frage. Nach weiteren Forschungen fand Akiro Endo 1972 ebenfalls in Penicillium citrinum drei andere cholesterinsenkende Substanzen. Der wirksamsten davon gab er die Bezeichnung «ML-236B».
Diese Substanz wurde zeitgleich und unabhängig von den Untersuchungen von Akiro Endo von Forschern in Grossbritannien (Firma Beecham Laboratories) ebenfalls als cholesterinsenkender Wirkstoff entdeckt. Allerdings benutzten diese Wissenschaftler einen anderen Schimmelpilz, nämlich Penicillium brevicompactum. Sie gaben dem Wirkstoff den Namen «Compactin». Die Entwicklung zum choles­terinsenkenden Medikament wurde aber auch hier zunächst nicht vorangetrieben, weil Compactin bei Ratten nur eine schwache Wirkung auf die Cholesterinwerte hatte und man deshalb keinen sicheren Nutzen als Medikament erwartete.
Akiro Endo konnte aber zeigen, dass ML-236B, oder eben Compactin, bei Hühnern, Affen und Hunden sehr wohl den Cholesterinspiegel im Blut senkt, und zwar um bis zu 50 Prozent. Es wurde deshalb unter seinem Vorsitz, gemeinsam mit Ärzten, Pharmazeuten, Toxikologen, Biochemikern und Mikrobiologen das «Compactin Development Project» gestartet, das weitere Untersuchungen durchführte, auch am Menschen. So konnte ab 1978 in Japan mit Compactin bei mehreren Familien die an extrem hohen Cholesterinspiegeln litten, eine deutliche Cholesterinreduktion erreicht werden. Eine Vermarktung dieser Substanz als Medikament wurde von der Firma Sankyo allerdings aber schlussendlich nicht ins Auge gefasst, da man bei der regelmässigen Einnahme von Compactin ein vermehrtes Auftreten von Lymphdrüsenkrebs befürchtete. Die Weiterentwicklung zum marktreifen Medikament wurde deshalb 1980 gestoppt.

Die Fortsetzungsgeschichte (1):
Mit Lovastatin kommt des erste Statin auf den Markt
Angeregt durch die Forschungen von Akira Endo machten sich auch Chemiker und Pharmazeuten bei der deutschen Firma Merck auf die Suche nach cholesterinsenkenden Pilzsubstanzen. Sie konnten schon innert 18 Monaten aus dem Schimmelpilz Aspergillus terreus die chemische Verbindung «Mevinolin» gewinnen. Diese Substanz ist chemisch mit dem erwähnten Compactin eng ­verwandt.
Etwa zeitgleich entdeckte Akiro Endo, nachdem er von der Firma Sankyo zurück an die Universität Tokyo gewechselt hatte, im Schimmelpilz Monascus ruber, der ja bei der Herstellung des Rotschimmelreises eine Rolle spielt, die cholesterinsenkende Substanz Monacolin K.
Wie sich kurze Zeit später herausstellte, handelte es sich bei Monacolin K und Mevinolin aber um die haargenau gleiche chemische Verbindung! Diese wurde ein paar Jahre später (1987) unter dem generischen Namen ‚Lovastatin‘ als erstes cholesterinsenkendes Medikament aus der Gruppe der Statine in den USA auf den Markt gebracht, später auch in anderen Ländern. In der Schweiz war Lovastatin nie als Arzneimittel zugelassen.

Die Fortsetzungsgeschichte (2):
Wie ging es weiter mit den Statinen?
In den vergangenen 28 Jahren ist die Liste der Wirkstoffgruppe der Statine recht lang geworden. Es wurden neuere und wirksamere Statinverbindungen gefunden respektive entwickelt. Einige sind Substanzen, die ebenfalls in der Natur (in Schimmelpilzen) vorkommen, die neueren sind Entwicklungen (sogenannte Derivate) aus dem Reagenzglas. Die wichtigsten, aktuell als Medikament erhältlichen, sind in alphabetischer Reihenfolge: Atorvastatin (Sortis®), Fluvastatin (Lescol®), Pitavastatin (Livazo®), Pravastatin (Selipran®), Rosuvastatin (Crestor®) und Simvastatin (Zocor®).
Alle Statine haben als Hauptmerkmal eine cholesterinsenkende Wirkung. Diese beruht auf einer Hemmung der Cholesterinproduktion im Körper durch Blockade des Enyzms HMG-CoA. Damit gehören sie zu den wichtigsten und effizientesten Medikamenten in der Vorsorge und Behandlung von Herz-Kreislaufkrankheiten. Neben dem Hauptmechanismus, der Blutfettsenkung, weisen alle Statine eine Reihe von zusätzlichen Effekten auf. Sie wirken zum Beispiel auch antientzündlich und stabilisieren die arteriosklerotischen Auflagerungen in den Gefässwänden.
Zu den gefürchtetsten Nebenwirkungen gehören Muskelschmerzen und Muskelschwäche sowie seltener eine Beeinträchtigung der Leberfunktion. Diese Komplikationen treten nicht häufig auf und wenn, dann meistens nach Einnahme in höheren Dosen oder gleichzeitig mit bestimmten anderen Medikamenten. Dies muss bei einer Therapie mit Statinen immer im Auge behalten werden. Im Jahr 2001 führten solche Nebenwirkungen zum Rückzug des Statins Cerivastatin (Lipobay®) aus dem Handel.

Ist Rotschimmelreis ein Ersatz für ein Statin?
Zunächst ist festzuhalten, dass der cholesterinsenkende Effekt des Rotschimmelreises fast ausschliesslich auf das darin enthaltene Statin, nämlich Lovastatin (Monacolin K), zurückzuführen ist. Demzufolge ist eine Verbesserung der Blutfette beim Genuss von Rotschimmelreis überhaupt keine Überraschung.
Im Rotschimmelreis sind aber neben Lovastatin noch eine ganze Reihe von anderen chemischen Verbindungen zu finden, so auch das beschriebene Nierengift Citrinin. Alle diese zusätzlichen Substanzen sind meistens nur in geringeren Mengen nachweisbar, haben aber zum Teil ebenfalls eine cholesterinsenkende Wirkung.
Wie bei allen Naturprodukten ist auch beim Rotschimmelreis eine peinlich genaue, gesichert immer gleich hohe Konzentration respektive Mischung an erwünschten Wirkstoffen nicht gewährleistet. Dies steht im Gegensatz zu industriell hergestellten Medikamenten, die einen bestimmten Wirkstoff garantiert immer in der gleichen Menge beinhalten. Dies bedeutet beim Rotschimmelreis einen klaren Unsicherheitsfaktor, was Wirkung und mögliche Nebenwirkungen betrifft.
Die mininal notwendige Lovastatindosis, um eine ausreichende Cholesterinsenkung zu erzielen, wird mit 10 mg pro Tag angegeben. Dies wird in den auf dem Schwarzmarkt verkauften Rotschimmelreis­präparaten oft nicht erreicht. Anderseits sollte die Maximaldosis von 80 mg pro Tag nicht überschritten werden.
Die Einnahme von Rotschimmelreis als cholesterinsenkendes Medikament kann deshalb nicht empfohlen werden. Auf keinen Fall sollte Rotschimmelreis in Kombination mit anderen Medikamenten dem Körper zugeführt werden. Der Handel mit Rotschimmelreis (als Medikament oder Lebensmittel) ist in der Schweiz verboten. Zweifellos ist es besser und vernünftiger, gleich von Beginn weg ein «richtiges» statinhaltiges Medikament einzunehmen. Zudem ist von einem voreiligen Bezug übers Internet, wo die Herstellungsbedingungen oft nicht bekannt sind, dringend abzuraten.

AutorIn: Dr. med. Alexander Spillmann