Kleines Kind wird geimpft

Plauderei in der Sprechstunde
Gehört: «In meiner Familie kommen Fälle von Typ-1-Diabetes vor», berichtet sorgenvoll die 33jährige werdende Mutter Frau M. «Ich bin deshalb etwas unsicher, ob ich mein Kind gemäss dem allgemein empfohlenen Plan impfen lassen soll. Man hört doch immer wieder, dass Impfungen einen Typ-1-Diabetes auslösen könnten. Ich möchte wirklich kein Risiko eingehen.»

Geantwortet: In der Tat hört man immer wieder, ein Kind habe im Anschluss an eine Impfung einen Diabetes bekommen. Dies allein genügt aber selbstverständlich nicht, Impfungen als mögliche Auslöser von Typ-1-Diabetes zu verurteilen. Da weltweit sehr viele Impfungen bei Kindern durchgeführt werden und der kindliche Typ-1-Diabetes nicht so selten ist, muss es schon rein aus Gründen des Zufalls zu einem gelegentlichen zeitlichen Zusammentreffen dieser beiden Ereignisse kommen. Allerdings hat die Häufigkeit des Diabetes in den letzten Jahrzehnten aber leicht zugenommen. Äussere Faktoren spielen also wohl eine Rolle in seiner Entstehung. Da auch Impfungen bei Kindern deutlich häufiger gemacht werden als früher, darf man selbstverständlich nicht leichtfertig das Prinzip Zufall allein verantwortlich machen. Auch gibt es Hinweise, dass gewisse Impfungen bei Nagetieren tatsächlich zu einem etwas häufigeren Auftreten von Diabetes führen können.
Seit annähernd 70 Jahren schon beschäftigen sich Forscher mit diesem Thema. Zahlreiche Studien sind dazu erschienen. Eine Gruppe aus Belfast hat sich die Mühe genommen, alle in diesem Zeitraum publizierten Studien zum Thema Diabetes mellitus Typ 1 nach Impfungen zu sichten. Schliesslich konnten sie insgesamt 23 Studien auswerten, die den hohen, von ihnen geforderten Qualitätsstandard erfüllten. Es wurden über 13 000 neu aufgetretene Fälle von Typ-1-Diabetes registriert. Als Vergleich dienten Kinder und Jugendliche gleichen Alters, gleichen Geschlechts und ungefähr gleicher geografischer Herkunft. Mitberücksichtigt wurde auch die Familienanamnese bezüglich Typ-1-Dia­betes, die (finanziellen) Lebensumstände der Eltern u. a. Die Impfungen betrafen Kinderlähmung, Starrkrampf, Diphtherie, Masern, Mumps, Röteln, Hepatitis B und andere.
Erfreulicherweise konnte keinerlei Zusammenhang gefunden werden zwischen dem Auftreten eines Typ-1-Diabetes und vorausgegangenen Impfungen. Der Umstand, dass in zahlreichen hochentwickelten Ländern – wo die Impfhäufigkeit in der Regel auch grösser ist – mehr Fälle von Diabetes mellitus Typ 1 auftreten, belegt also keine Kausalität. Welche anderen Umweltfaktoren eine Rolle spielen könnten, wissen wir noch nicht.
Eine andere interessante Frage bleibt ebenfalls noch unbeantwortet: Es bestehen sehr wahrscheinlich gewisse Beziehungen zwischen dem sich entwickelnden Immunsystem und im Säuglings- bzw. Kleinkindesalter erworbenen Infekten, sowohl in positive wie in negative Richtung. Könnte es sein, dass der Zeitpunkt der Impfungen bedeutsam ist? Könnten mit der Wahl der «richtigen» Impfzeit sogar ein paar Fälle von Typ-1-Diabetes verhindert werden?
Liebe Frau M.: Nach unserem heutigen Stand des Wissens dürfen Sie Ihr Kind nach normalem Plan impfen. Das Risiko, dass es einen Typ-1-Diabetes bekommen könnte, wird durch das Impfen nicht erhöht. Für den Rest der Schwangerschaft und die Geburt die allerbesten Wünsche!

AutorIn: Dr. med. K. Scheidegger