Angehörige Familie

«Die wiederholten, vor allem nächtlichen Hypos meines Mannes machen mir manchmal sehr zu schaffen», berichtet die Ehefrau des 34jährigen Herrn M., Typ-1-Diabetiker seit über 20 Jahren. «Ich habe manchmal das Gefühl, diese Episoden seien für mich schlimmer als für ihn. Er weiss im Nachhinein meistens nichts von seinen schweren Unterzuckerungen.»

Die Aussage von Frau M. zeigt beispielhaft, dass von Diabetes Betroffene meistens nicht allein sind mit ihren Sorgen und Ängsten. Das Leben ihrer Angehörigen wird durch die Erkrankung sehr oft ebenfalls ausgeprägt beeinflusst. Insbesondere Hypoglykämien, deren oft Angst einflössende Symptomatik und deren manchmal mühsame Bekämpfung beeinträchtigen messbar das Wohlbefinden und die Lebensqualität von Partnern, Eltern und Kindern von Diabetikern. Naturgemäss betrifft dies in erster Linie Angehörige von insulinspritzenden Diabetikern. Wir kommen darauf zurück.
Wenn Frau G. schreibt (sie­he «Angehörige sind auch
«Diabetesbetroffene», Seite 9 ff.), die Krankheit ihres Freundes sei für sie überhaupt kein Problem, weil er so positiv und durch den Diabetes stark und einfühlsam geworden sei, ist dies wunderbar und beide Partner sind zu beglückwünschen. Umfragen haben indes gezeigt, dass fast jeder vierte Betroffene selbst das Gefühl hat, kein normales Leben führen zu können. Diese negative Grundhaltung überträgt sich selbstverständlich auch auf das Wohlbefinden der nächsten Angehörigen.
Der Diabetes lässt sich nicht aus der Welt schaffen. Auch können eher schwermütige, zweifelnde Menschen nicht leicht zu fröhlichen Optimisten «umerzogen» werden. Was sich indes vielerorts gezeigt hat, ist der günstige, beruhigende, stabilisierende Einfluss einer guten Schulung und Aufklärung über die Krankheit. Auch der Austausch mit anderen Betroffenen, sowohl in Selbsthilfeorganisationen wie auch über die sozialen Medien, kann nützlich sein. Wissen ist Macht.
Thema Nummer 1 ist und bleibt der Umgang mit Hypoglykämien. Drei Punkte sind dabei von herausragender Bedeutung: Es sollte allen Beteiligten – Diabetesbetroffenen und Angehörigen – bekannt und bewusst sein, dass die Wahrscheinlichkeit, durch eine Unterzuckerung das Leben zu verlieren, ausserordentlich gering ist. Wir haben zum Beispiel in über 30 Jahren Diabetologie keinen einzigen sicheren Hypo-Todesfall erleben müssen. Diese belastenden Ängste müssen nicht sein. Im Weiteren sollten Angehörige zwingend wissen, dass das manchmal sehr unangenehme, ausfällige, beleidigende «Verhalten» ihrer Diabetesbetroffenen keineswegs Ausdruck des «wahren» Charakters ist. Es spielt sich während der Unterzuckerung ein Film ab, der von den Hauptdarstellern überhaupt nicht beeinflusst werden kann. Und schliesslich ist es nicht so, dass Diabetiker im Erkennen und Behandeln von Hypoglykämien fahrlässig sind und sich bewusst auf ihre Partner verlassen. Gerade bei Menschen, welche die Krankheit schon sehr lange haben, kommt es oft vor, dass Angehörige aufgrund von sehr diskreten Verhaltensänderungen die (drohende) Unterzuckerung zuerst wahrnehmen.
Wenn schon der Diabetes eines Partners als belas­tend empfunden wird, wie schwer muss es dann wohl sein, mit der Krankheit eines eigenen Kindes umzugehen? Selbstverständlich ist die Hypoglykämie auch hier zentrales Thema. Aber auch Zukunfts­ängste belasten die Eltern schon jetzt: Wird meine Tochter als Erwachsene allein leben können? Wird sie Kinder haben können? Wird sie durch Folgeschäden des Diabetes beeinträchtigt sein?
Leider können auch Probleme um die Ernährung eine Beziehung belasten. Grundsätzlich sollte dies allerdings nicht vorkommen. Diabetikern wird heute ja empfohlen, sich gesund und ausgewogen zu ernähren. Dies steht auch Partnern oder anderen Familienangehörigen gut an. Die Solidarität, gleich und gemeinsam zu essen, sollte selbstverständlich sein.
Lesen Sie in der Folge, was Angehörige über ihre Liebsten mit Dia­betes denken und was sie belastet angesichts dieser tagtäglich vorhandenen Krankheit.

AutorIn: Dr. med. K. Scheidegger