Mann. Frau und Kind sitzen traurig am Tisch

«Die wiederholten nächtlichen Unterzuckerungen meines Mannes machen mir manchmal sehr zu schaffen.» – «Der Diabetes gehört in unsere Beziehung. Er gehört zum Alltag.» – «Meine Mutter geht vorbildlich um mit ihrem Diabetes, schaut immer auf ihre Ernährung und betreibt mehrmals in der Woche Sport.» – «Man steht daneben und weiss nicht, wie helfen.» – «Man fühlt sich unsicher oder überfordert.»
So und ähnlich äussern sich viele Familienangehörige und Partner von Diabetesbetroffenen. Dies zeigt deutlich, dass der Diabetes nicht nur Folgen hat für das Leben der Betroffenen selbst, sondern sich auch auf das nähere soziale Umfeld auswirkt.

Sicht der Angehörigen
Allgemein fühlen sich die Angehörigen psychisch gleich stark herausgefordert wie die Betroffenen selber. In einer grossen wissenschaftlichen Umfrage im deutschen Sprachraum (Deutschland) bezeichnen rund 40 % der Familienmitglieder die ständige Sorge um das Wohl des Diabetesbetroffenen als deutliche Belastung. Etwa ein Drittel ist frus­triert, weil sie nicht recht wissen, wie sie ihren zuckerkranken Familienmitgliedern zur Seite stehen und helfen können oder sollen.
Nicht überraschend ist das psychische Wohlbefinden deutlich schlechter als bei Menschen, die nicht mit Diabetesbetroffenen zusammenleben. Bei rund 12 % der Angehörigen ist gar von einer Depression auszugehen. Das ist doppelt so viel wie in der Normalbevölkerung.
Besonders gravierend sind für die Angehörigen die Sorgen in Bezug auf diabetesbedingte Folgekomplikationen und die Angst vor Unterzuckerungen. Gerade letzteres belastet die Angehörigen deutlich stärker als die Diabetesbetroffenen selbst: Fast zwei Drittel der Angehörigen haben Angst vor Unterzuckerungen, während deutlich weniger, nämlich nur rund 40 % der Diabetesbetroffenen, diese Sorge teilen. Auch in anderen Fragestellungen reagieren die Angehörigen empfindlicher und besorgter: Knapp 20 % geben an, dass der Diabetesbetroffene wegen der Zuckerkrankheit diskriminiert wird, während dies nur zehn Prozent der Menschen mit Diabetes so empfinden.
Darüber hinaus schränkt die Zuckerkrankheit nicht nur bei den Diabetesetroffenen das Alltagsleben ein. Im Einzelnen werden Beschränkungen in der Wahl und der Ausübung von Freizeitaktivitäten erwähnt. Auch die finanzielle Situation wird durch den Diabetes spürbar belastet. Etwa 15 % der Angehörigen geben an, wegen der Erkrankung des Familienmitgliedes im Arbeitsalltag, im Beruf oder in der Ausbildung und im Ausleben sozialer Beziehungen eingeschränkt zu sein (Familienangelegenheit Tabelle Beeintraechtigung).

Familienangelegenheit Tabelle Beeintraechtigung

Bedeutung der Angehörigen für Menschen mit Diabetes
Angehörige, Partner und Freunde sind für Menschen mit Diabetes sehr wichtig. Sie sind die wichtigsten Stützen bei der Bewältigung des Diabetes. Dabei ist die emotionale, psychische Unterstützung am bedeutendsten. Nicht selten wird aber auch praktische Hilfe geleistet, wie Mithilfe beim Blutzuckermessen oder der Insulininjektion respektive der korrekten Tabletteneinnahme.
Psychologen ist längstens bekannt, dass gerade bei starken Belastungen und Krisen eine gute Unterstützung durch Mitmenschen/Angehörige sehr hilfreich ist, konkret zum Beispiel beim Auftreten des Diabetes, bei der psychischen Bewältigung immer wieder auftretender (schwerer) Unterzuckerungen oder beim Umgang mit Folgekomplikationen. Mit jemand anderem zu reden, Sorgen zu diskutieren, allenfalls körperliche Nähe zu spüren, kann dazu beitragen, eine psychische Belastung besser zu bewältigen.
Unterstützung durch andere hat jedoch manchmal auch eine Kehrseite. Sie wird nicht immer positiv wahrgenommen. Ein Zuviel an Unterstützung oder eine falsche Form der Unterstützung kann auch negative Auswirkungen haben. Dies ist insbesondere dann recht häufig der Fall, wenn die Fürsorge als Einmischung in die Privatsphäre wahrgenommen wird. Gerade bei Jugendlichen mit Diabetes ist dies oft ein riesiges Problem und führt beim Betroffenen zu Abwehr und Rückzug.
In der eingangs erwähnten Befragung sind mehr als die Hälfte der Diabetesbetroffenen und 75 % der Angehörigen zufrieden mit der aktuell gewährten Unterstützung. 40 % der Angehörigen und 20 % der Menschen mit Diabetes schildern aber, dass man sich in der Familie über die Art und Weise, wie mit dem Diabetes umzugehen ist, nicht einig sei. Allerdings wünscht jeder dritte Angehörige, stärker in die Diabetesbehandlung involviert zu werden. Bei den Betroffenen wird dies aber recht selten als notwendig erachtet: Nur knapp jeder zehnte Diabetesbetroffene wünscht, dass sich die Familienangehörigen stärker in die Diabetesbehandlung einbinden. Rund 15 % der Menschen mit Diabetes möchten eine geringere Beteiligung durch die Familie, während sich nur 6 % der Angehörigen künftig weniger stark engagieren wollen.

Was kann man tun?
Eine spezielle Diabetesschulung für Angehörige wäre sicher sinnvoll und würde von der Mehrheit der Menschen als hilfreich empfunden. Allerdings kann so etwas auch von den grossen Diabeteszentren kaum angeboten werden. Es bleibt deshalb bei Tipps aus dem reichen Erfahrungsschatz von Betroffenen und Beratungsstellen und allgemeinen psychologisch begründeten Ratschlägen:
Die Angst vor der Krankheit wird man nur los, wenn man mit ihr vertraut ist. Es ist den Angehörigen also zu empfehlen, sich über den Diabetes zu informieren. Dies kann zum Beispiel durch Teilnahme an den Schulungen bei der Ernährungs- oder Diabetesberaterin oder durch Informationen aus Büchern oder dem Internet geschehen. Das Blutzuckermessgerät, die Insulinspritze, der Pen oder die Insulinpumpe sollten von den Bezugspersonen idealerweise genauso gut beherrscht werden wie von den Diabetesbetroffenen. Ihnen wird zudem empfohlen, gezielt Menschen in Ihrer Umgebung in die Krankheit einzuweihen und den Diabetes im häuslichen Umfeld ganz normal zu leben. Auf diese Weise kann neben der normalen mitmenschlichen Unterstützung und Begleitung auch vertiefte praktische und fundierte Hilfeleistung erfolgen, was für beide Seiten, Diabetesbetroffene und Angehörige, nur von Vorteil ist.
Nicht allen fällt es einfach, offen über ihre Krankheit zu reden. Durch Schweigen und Geheimnistuerei wird die Belastung aber auf beiden Seiten nicht kleiner, sondern wegen vielen Unsicherheiten und Sorgen nur noch grösser. Ein gutes Leben mit Dia­betes ist eine Gemeinschaftsleistung. Mit gegenseitiger Offenheit und Unterstützung fällt es allen Beteiligten leichter, erfolgreich mit dem Diabetes zurechtzukommen.

AutorIn: Dr. med. A. Spillmann