gemalte Sonne

Im «d-journal» 195/2008 haben wir sehr ausführlich berichtet über das Vitamin D und seine mannigfaltigen Aufgaben. Das «Sonnenscheinvitamin» – Vitamin D kann vom Körper nur hergestellt werden unter dem Einfluss des UVB-Lichts der Sonne – wurde damals auch in Zusammenhang gebracht mit dem Diabetes, sowohl dem Typ-1 wie auch dem Typ-2.

Vitamin D und Typ-1-Diabetes
Vitamin D ist beteiligt bei der Immunabwehr und vermindert das Auftreten von Autoimmunerkrankungen wie Diabetes mellitus Typ 1, Multiple Sklerose, Morbus Crohn, rheumatoide Arthritis etc. Ein wichtiger Faktor in der Entstehung dieser Krankheiten scheint zu sein, wie gut die Vitamin D-Versorgung in den ersten 10 Lebensjahren eines Menschen war. Man nimmt heute an, dass eine mögliche Erklärung, weshalb es im Norden Europas (Skandinavien) mehr Typ-1-Diabetiker gibt als im Süden (Mittelmeerländer) hier zu suchen ist. Wegen der langen, dunkeln Winter ist naturgemäss die Vitamin D-Versorgung in Skandinavien schlechter. Es erstaunt deshalb nicht, was eine finnische Studie zur Prävention des Typ-1-Diabetes gezeigt hat. Säuglinge erhielten während des ersten Lebensjahres täglich eine um das 10-fache höhere Dosis Vitamin D als üblich (50 µg, entsprechend 2000 IU statt 5 µg, entsprechend 200 IU). 30 Jahre später stellte man fest, dass bei den hochdosiert Behandelten 80% seltener ein Typ-1-Diabetes aufgetreten war als in der Kontrollgruppe.
Es ist heute bei uns Routine, dass Säuglinge mit Vitamin D supplementiert werden. Allerdings ge­schieht dies in der Regel mit 400 IU im ersten und 600 IU im zweiten und dritten Lebensjahr. Bei deutlich höheren Dosen erachtet man die Gefahr einer Überdosierung (mit entsprechenden «Vergiftungs»-Erscheinungen) als zu gross.

Vitamin D und Typ-2-Diabetes
Bei Menschen mit Diabetes mellitus Typ 2 hat man Verbesserungen der Blutzuckerregulation festgestellt, wenn die Vitamin D-Versorgung erhöht wurde. Seit einiger Zeit ist bekannt, dass es sowohl in den Betazellen des Pankreas wie auch in den Zielorganen der Insulinwirkung, der Leber, den Muskeln und dem Fettgewebe, Vitamin D-Rezeptoren gibt. Es erstaunt deshalb nicht, dass Menschen mit einem Vitamin D-Mangel eine eingeschränkte Funktion der Betazellen haben. Im Weiteren scheint Vitamin D einen Faktor im Blut zu hemmen (TNF-alpha; siehe «d-journal» 237, 2015), welcher für die Insulinresistenz beim Typ-2-Diabetes verantwortlich gemacht wird. Vitamin D-Mangel und Typ-2-Diabetes haben auch ein ähnliches Risikoprofil. Beide sind gehäuft bei übergewichtigen Menschen, in zunehmendem Alter und bei bestimmten Rassen, zum Beispiel dunkelhäutigen. Allerdings weiss man noch nicht sicher, ob sie in einem kausalen Zusammenhang stehen.

Lässt sich der Typ-2-Diabetes durch Vitamin D beeinflussen?
Mit diesem Wissen im Hintergrund drängen sich ein paar Fragen geradezu auf: Spielt Vitamin D eine bedeutsame Rolle beim Typ-2-Diabetes? Ist der Diabetes bei genügender Vitamin D-Versorgung besser eingestellt? Kann dem Typ-2-Diabetes durch eine regelmässige Supplementation mit Vitamin D gar vorgebeugt werden?
In einer Studie wurden in Indien über 900 Teilnehmer untersucht. Knapp die Hälfte von Ihnen hatte einen Typ-2-Diabetes. Über 90 % beider Gruppen – Diabetiker und Kontrollpersonen – hatten einen Mangel an Vitamin D. Zwei Drittel der Diabetiker waren übergewichtig (BMI > 25 kg/m2), bevorzugt diejenigen mit einem Vitamin D-Mangel. Gleiches galt für den Bauchumfang. Es konnte kein Zusammenhang zwischen dem Vitamin D-Mangel und dem HbA1c gefunden werden. Ebenso korrelierte der Grad der Insulinresistenz nicht mit dem Vitamin D-Spiegel.
In einer andern Studie wurden ältere (durchschnittlich 71-jährige), übergewichtige (mit BMI durchschnittlich von 30 kg/m2) Probanden ohne Diabetes während eines Jahres mit einer Standarddosis von 600 IU Vitamin D3 bzw. mit einer deutlich höheren Tagesdosis von 3500 IU Vitamin D3 behandelt. Weder in Bezug auf den Nüchtern-Blutzucker noch auf Parameter der Insulinresistenz liessen sich nach einem Jahr Unterschiede finden.
Auch weitere Untersuchungen lagen auf der gleichen Linie. Die Korrektur eines Vitamin D-Mangels führt offensichtlich nicht zu einer Verbesserung der Stoffwechselkontrolle beim Typ-2-Diabetes. Der Gabe von Vitamin D kommt in der Behandlung des Typ-2-Diabetes sehr wahrscheinlich also keine Rolle zu.

Prävention des Typ-2-Diabetes mit Vitamin D?
Noch nicht beantwortet werden kann die Frage, ob eine regelmässige Gabe von Vitamin D einen Typ-2-Diabetes verhindern kann. Erfreulicherweise sind aber ein paar Studien mit genau dieser Fragestellung am Laufen. Gespannt warten wir auf die entsprechenden Resultate.
Wie sollen wir uns in der Zwischenzeit verhalten? Vitamin D-Mangel ist, insbesondere bei älteren und übergewichtigen Menschen häufig. Das Vitamin ist sehr billig. Sein Ersatz in kleinen Tagesdosen von 600–800 IU ist ungefährlich. Es darf mit (zusätzlichen) günstigen Effekten gerechnet werden. So nimmt zum Beispiel die Sturzhäufigkeit bei älteren Leuten ab, wenn Vitamin D ersetzt wird. Zahlreiche Experten empfehlen deshalb eine breite Vitamin D-Supplementation, insbesondere selbstverständlich bei Menschen mit einer erhöhten Gefährdung, z.B. bei Diabetes in der Familie. Dies darf durchaus «unbesehen» erfolgen, also ohne vorausgehende Messung des Vitamin D-Spiegels im Blut. In ein paar Jahren werden wir hoffentlich wissen, ob Vitamin D zur Prävention des Diabetes mellitus Typ 2 geeignet ist. Was heute schon bestens bekannt ist: Eine gesunde Ernährung und regelmässige körperliche Aktivität taugen dazu bestens.

AutorIn: Dr. med. K. Scheidegger